Gartennotiz – Wer sind die Chefs?
Noch vor einiger Zeit hatten wir das Kommando fest in unseren Händen – über unseren Garten. Seit einiger Zeit jedoch ändert sich das, Schritt für Schritt. Es scheint, als würde er uns das Heft aus der Hand nehmen. Was gar nicht so schlecht ist, wie wir finden.
Bis der Natternkopf und die Wilde Möhre abgeblüht sind und der Lavendel komplett braun geworden ist, nehmen wir ziemliche Umwege und Verrenkungen in Kauf. Der Natternkopf ist ein derartiger Hit bei allen Insekten, wie kann man ihnen da ihre Lieblingsspeise wegnehmen? Und erst die Wilde Möhre! Unterschiedlichste Insekten grasen hier friedlich nebeneinander, wer möchte ihnen das Buffet einkürzen? Der Gamander, ja der Gamander, er zeigt unglaubliche Ausbreitungstendenzen. Unser Rollrasen, der noch vor einigen Jahren eine Zier im Garten war, so schien es uns zumindest, verschwindet zusehends unter den rosafarbenen Blütenglöckchens des Gamanders. Und – es macht uns nicht einmal etwas aus! Denn die Blüten sind Anziehungspunkt für allerlei Insekten: die Wollbienenmännchen patrouillieren und verscheuchen Konkurrenten, auf dass diese um Himmels Willen ja nicht ihren Weibchen Nektar wegsaugen oder womöglich Schlimmeres im Sinn haben. Wildbienen aller Coleur tummeln sich dort. Falter naschen, besonders in den Abendstunden.
Passionierte Gemüse-Hochbeet-Gärtner wird es vor Grauen schütteln: wir betrachten am Anfang des Jahres mit Interesse, was da sprießt und uns – vielleicht – zur Erntezeit mit Vitaminen versorgt. Sobald aber die Aufmerksamkeit ein wenig nachlässt, weil es ja so viel im Garten zu tun und sehen gibt, scheint es, als würden die Pflanzen ganz schnell und heimlich über Nacht ihre Blüten ansetzen, um uns zu überlisten. Und dann ist es wieder vorbei mit unserer Gemüsegärtnerei. Ein Salat darf schon lange auswachsen. Jetzt blüht die Dille auf, sie lehnt sich schon, anscheinend müde vom Tragen der vielen, vielen Blüten- und Samenköpfe über den Rand des Hochbeetes, mischt sich unter die Samenkapseln des Klatschmohns und die abblühenden Blütenkerzen des Gartensalbeis. Denn die Dille ist erklärte Leibspeise der Schwalbenschwanzraupen. Wer bringt es da übers Herz und schneidet die Dille ab? Wir nicht!
Vogelgezwitscher – wir lieben es! Was wir zu lieben gelernt haben, sind die Holunder. Es werden immer mehr im Garten, ihre duftenden Blüten sind Insektenmagnete und ihre dunkelblauen Beeren von den Vögeln heiß geliebt. Also dürfen sie bleiben – noch. Solange alle anderen noch genug Platz haben….
Eines Tages war das Echte Labkraut in der Gänsekresse, nachdem es identifiziert wurde als äußerst wertvoll, darf es bleiben. Die Ausbreitungstendenzen des Storchschnabels sind legendär und haben mich schon ein wenig irritiert, aber als ich die ersten Wildbienen schlafend in den Blüten entdeckt habe, war klar: er darf sich ausbreiten! Der Wilde Majoran beginnt durch den Garten zu wandern, ebenso der Ackerrittersporn und die Jungfer im Grünen. Der Majoran, oder Oregano, wie wir auch gerne sagen, um uns – mitten in Niederösterreich – ein wenig mediterranes Gartengefühl einzureden, blüht nun zwischen den Ribiselsträuchern. Herrlich!
Aufpassen müssen wir auf die Apfelminze, auch wenn ihre Blüten der Hit bei den winzigen Wildbienen und anderen Insekten sind. Minzen sind berühmt-berüchtigt dafür, alle Grenzen zu überwinden.
Und weil die Pflanzen, die sich ihren Platz selber aussuchen, immer robust sind und dort problemlos wachsen, während sie an anderer Stelle ständig gehätschelt werden müssen, dürfen sie wachsen, blühen, den Insekten zu Dienste sein und uns erfreuen!
Text und Foto: © Karin Kurzmann
Beitragsfoto: Wilder Majoran/Oreganum vulgare/Dost – mitten in den Ribiseln